Balcosy: Ein Fensterplatz an der Sonne

Mit dem Fensterbalkon Balcosy verschafft Florian Holzmayer auch allen Wohnenden ohne Garten und Terrasse einen luftigen Platz an der Sonne.

Als vermeintlicher Anfang aller unmoralischen Lasterhaftigkeit hat der Müßiggang bei manchen heute noch einen schlechten Namen. Zu Unrecht, denn das gepflegte Nichtstun ist vielfacher Vater von Erkenntnis und Inspiration. Beispiele dafür gibt es zuhauf: Den untätig in der Wiese liegenden Newton, dem der vom Baum fallende Apfel zur Einsicht in das Gravitationsgesetz verhalf. Den Chemiker August Kerkulé, dem sich die Struktur von Benzol durch einen Traum im Schlaf erschloss. Oder den Metallurgen Paul Schwarzkopf, der beim Spaziergehen die zündende Idee zur Fabrikation von Wolframpulver für die Fertigung der Glühfäden von Lampen hatte.
Was die Tragweite unverhoffter Entdeckungen anbelangt, gibt es Florian Holzmayer eine Nummer kleiner, doch auch seine Invention hat durchaus das Potenzial für große Veränderungen: Die Frucht seiner Entspannungseinheit im Lockdown-Frühling 2020, am Fenster seines Altbau-WG-Zimmers in der Goethestraße 53, ist ein mobiler Fensterbalkon, der sich – wenn er nicht zum Sitzen gebraucht wird – einklappen und in einen Arbeitstisch verwandeln lässt.
Komfort und Mehrzweckhaftigkeit waren allerdings gar nicht das primäre Motiv des jungen Wahllinzers, den die Liebe 2019 aus Salzburg an die Donau gelockt hatte: "Ich habe nur im Fenster sitzend Sonne getankt und mir gedacht, dass ich mich dabei im dritten Stock mit einer Absturzsicherung wohler fühlen würde", erinnert sich der Absolvent der Halleiner HTL für Holz- und Hochbau an den lautlosen Urknall des Balcosy, der in seiner allerersten Form aus einem schlichten Brett in der Fensterlaibung bestand.

Nach der Sicherheit der Komfort
Als die Gefahr eines Fenstersturzes - in der Goethestraße - mit dem Brett gebannt war, kam einmal mehr die Maslow'sche Bedürfnispyramide zu tragen. Treu dem Motto, dass es nach der Existenzsicherung um das Wohlbefinden zu gehen beginnt, sann Holzmayer an Mitteln und Wegen, den Licht- und Luftkonsum im Fensterstock bequemer zu machen. Als Enkelsohn eines Tischleropas entwickelte der zwischenzeitliche Kunstgeschichtestudent mit einfachem Werkzeug und Holzplatten eine erste Variante des Sitzbalkons, der ihn geistig nicht mehr losließ. Viele Recherchen und Überlegungen später entschied der quirlige Ingenieur im Sommer 2020, sich dem Projekt Fensterbalkon voll und ganz zu verschreiben. Nicht zuletzt eine 2013 verfasste Diplomarbeit über ein ähnlich gedachtes Projekt mit dem schönen Namen "Freisitz" – die Holzmayer online aufstöberte – bestärkte ihn im Glauben an das Potenzial des Balcosy, wie er seine Konstruktion in Kombination von "balcony" und "cosy" zu bezeichnen begann. "Ein Sechstel aller österreichischen Haushalte hat weder Terrasse noch Balkon und daher potenziell Bedarf an einem Balcosy", weiß Holzmayer, "rechnet man die entsprechenden Haushalte in Deutschland und die Schweiz dazu, kommt man auf eine gigantische Zahl."

Entwicklung im Normendickicht
Findigkeit bewies Holzmayer nicht nur bei der schrittweisen Weiterentwicklung des Balcosy mit dem Tisch-Klappmechanismus als Clou. Sondern auch, indem er sich nach der Entscheidung für das Unternehmen Balcosy sofort an den oberösterreichischen Möbel- und Holzbaucluster MHC wandte, um sich in Sachen Normvorgaben schlau zu machen. Der MHC spannte ihn gleich mit einem Tischler zusammen, der Holzmayer mit der Erfahrung von 40 Berufsjahren und langer Mitarbeit im Normierungsgremium beriet. Nicht zuletzt deshalb ist der Balcosy als mobiles Möbelstück deklariert: Als solches ragt es nicht über die Baulinie des jeweiligen Gebäudes hinaus und bedarf weder einer Baugenehmigung noch der Zustimmung eines Vermieters.
Was die Normen betrifft, gestaltete sich die Sache schwierig, berichtet der Balcosy-Erfinder: "Es gibt einige halb anwendbare Normen, wie zum Beispiel die über die vorgeschriebene Geländerhöhe im Sitzen." Bei einem bautechnischen Institut hat der Balcosy eine ausgedehnte Statik-Testreihe durchlaufen. Um sich weiter abzusichern, hat Holzmayer bei einem Ziviltechniker ein Gutachten in Auftrag gegeben, das ihn um die 1o.000 Euro kostet – obwohl er als Möbelhersteller nicht dazu verpflichtet wäre. Doch Sicherheit geht bei einem Produkt, das in luftiger Höhe zum Einsatz kommt, eben vor. Für die Prüfung musste der Jungunternehmer, der auf Empfehlung eines Freundes mit einem Nudel-Business seit Sommer 2021 die Unterstützung von tech2b genießt, zwei der bisher acht gebauten Balcosy-Modelle für die Zerstörungsprüfung opfern.

Bild: tech2b / Andreas Balon

Lauter Unikate
In punkto Sicherheit hat der angehende Balkon-Businessmann noch weiter vorgebaut: Im Kaufvertrag ist explizit aufgeführt, was auf einem Balcosy tabu ist. Das ist vor allem zweierlei: Kinder und im Fenster stehen. Auch mit Anlauf auf die Sitzfläche zu springen, ist ein No-no. Dringend empfehlen wird Balcosy – das Unternehmen wird als GesmbH firmieren – auch die sachgerechte Montage durch einen zertifizierten Partner. 2022 soll es mit dem Verkauf losgehen: 50 Stück sind das bescheidene Verkaufsziel für das erste Jahr, für das alles auf Schiene ist: Als erste Mitarbeiterin für Customer Happiness wird Holzmayer seine Mutter in Salzburg anstellen. Und sich damit als Sohn in die ungewöhnliche Position bringen, theoretisch den gewohnten Spieß umdrehen und einmal der Mama vorwerfen zu können, wie viel sie ihn koste.
Der Online-Konfigurator ist bereits fertig programmiert. Den braucht es, weil jeder Balcosy ein Einzelstück ist: "Es gibt kein Normfenster, nach dem wir uns richten und für das wir vorproduzieren könnten", erklärt Holzmayer. Jede Onlinebestellung geht an eine Tischlerei in Zwettl an der Rodl, mit der Balcosy eine Produktionspartnerschaft eingegangen ist. Etwa die Hälfte der Komponenten sind für alle Balcosys baugleich. Der Rest muss in rund zwei bis drei Arbeitsstunden individuell gefertigt werden. 200 Stück schafft der Betrieb mit den gegenwärtigen Kapazitäten monatlich. Sollte der Balcosy zum Renner werden, hat er sich bereit erklärt, mitzuwachsen und größer zu werden.

Flowfactory auf Balkonoffensive
Seine ersten Marktreviere hat Holzmayer schon abgesteckt: Am Anfang wird der Fensterbalkon in Salzburg, Linz und Wien zu haben sein; über Graz schwebt noch ein Fragezeichen. Mit tatkräftiger tech2b-Unterstützung hat Holzmayer auch die Kalkulation gemeistert: "In meiner Schulzeit habe ich nie mit betriebswirtschaftlichen Fragen zu tun gehabt, die ich aber sehr spannend finde. Ich bin froh, dass mich meine Berater bei tech2b da an der Hand genommen haben."
Erschwingliche 500 Euro soll der neue Wohnspaß kosten. Das ist nicht viel. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass der nie über einen Prototypen hinausgekommene "Freisitz" auf das Doppelte ausgelegt war. Der Preis bezieht sich allerdings auf das Basismodell, mit dem Balcosy den Markteintritt vollzieht. Ein Premiummodell wird folgen. An Ideen hat Holzmayer schon intensiv in seinem WG-Zimmer mit Miniwerkstatt gearbeitet, das er früher nur zum Holzschneiden in Richtung Kellerwerkstatt verließ, ehe er die Grand Garage in Linz als Laboratorium zu nutzen begann.
Denkbar sind Ausführungen in edleren Hölzern als der Standard-Fichte wie zum Beispiel Nussholz. Auch für eine Variante mit extradünnen Schichtplatten kann sich Holzmayer erwärmen, dito für ein extrabreites Modell, auf dem man sogar liegen und ein absturzsicheres Mittagsschläfchen im Fenster halten könnte. Mit einem Kreativkollektiv namens Flowfactory baut Holzmayer bereits ein multiprofessionelles Universum rund um den Balcosy auf. Mit ihm möchte er in Zukunft weitere mobiliäre Geniestreiche wie den Balcosy anstellen, für den die Zeit gekommen scheint: Nach den Corona-Lockdowns denkt der Linzer Bürgermeister bereits laut über eine Balkonoffensive zur nachträglichen Aufwertung freiflächenloser Wohnungen nach. Mit dem Balcosy hätte er die smarteste und günstigste Lösung zur Hand.

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Fotos: tech2b / Andreas Balon

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