Wo Ideen statt Container gehandelt werden
(Quelle: dieMacher)
Die Zusammenarbeit von Großunternehmen mit Start-ups gilt bereits seit längerem als Erfolgsrezept für die Schaffung von Innovationen. Es gibt kaum noch Industriebetriebe, die ihre Fühler nicht bereits in Richtung Start-ups ausgestreckt haben. Acht oberösterreichische Leitbetriebe gehen nun mit dem OÖ Inkubator Tech2b einen Schritt weiter und haben beim Handelshafen Pier4 angedockt.
Die Überraschung beim Betreten des Interviewortes ist groß: Es ist eine Wohnung in einem alten Haus in der Nähe des Linzer Bahnhofes, die sich am besten mit den beiden Adjektiven alt und renovierungsbedürftig beschreiben lässt. Die Einrichtung stammt noch aus den 70er-Jahren, Lampenschirme und Sesselleisten fehlen. Die Wände im Vorraum dienen als Gästebuch, sind von oben bis unten mit kleinen Botschaften und Unterschriften vollgekritzelt. Ein großer Besprechungstisch in der Mitte des nächsten Raumes ist übersät mit kleinen Notizzetteln und anderen Büromaterialien. Die Wände sind mit bunten Post-its beklebt, dazwischen ist ein großes Loch und auch eine Kritzelei – zentral in der Mitte prangt in schöner Handschrift der Satz: „Wie kann die Energie AG in Zukunft Geld verdienen?“ Denn die Wohnung gehört der Energie AG. Genauer gesagt sind es die Räumlichkeiten der „Soko Innovation“ – ein Projekt, das Anfang 2015 ins Leben gerufen wurde, um sich auf die Suche nach unkonventionellen Ideen und Innovationen zu machen.
„Natürlich haben wir zuerst überlegt, etwas Schickes aus den Räumlichkeiten zu machen“, sagt Elisabeth Spitzenberger, die gemeinsam mit Christian Stein die Soko Innovation leitet, „aber wir wissen aus der Hirnforschung, dass genau diese unfertigen Rahmenbedingungen zum Entwickeln anregen, nicht umsonst sind die wirklich genialen Dinge in Garagen entstanden. Wir erleben nun selbst, wie die unterschiedlichsten Leute hier kreativ werden.“ Vom Vorstand über die Praktikanten des Konzerns bis hin zu Architekten, Professoren oder Start-up-Gründern von extern waren bereits die unterschiedlichsten Leute für die Soko Innovation im Einsatz. Der völlig neue Weg der Energie AG funktioniert: Eine Reihe von Innovationsprojekten haben sich entwickelt, das erste soll im ersten Quartal 2018 auf den Markt kommen. So viel sei verraten: Es wird das erste, rein digitale Geschäftsmodell des Konzerns und etwas im Bereich Heizen sein.
Das Projekt „Soko Innovation“ ist nur ein Beispiel unter vielen, wie Unternehmen nach neuen Geschäftsmodellen und Lösungen für die Zukunft suchen. Denn es herrscht Einigkeit: Für die Entwicklung von Innovationen muss man neue Wege beschreiten. Die Zusammenarbeit von Großunternehmen mit Start-ups ist nicht mehr unbedingt neu – gilt aber nach wie vor als Erfolgsrezept, um frische Ideen für die Zukunft zu entwickeln. Konzerne und Start-ups können durch ihre unterschiedlichen Kulturen und Arbeitsweisen gegenseitig voneinander profitieren. Acht oberösterreichische Leitbetriebe gehen daher nun einen neuen Weg: Sie haben sich dem vom OÖ Hightech Inkubator Tech2b ins Leben gerufenen Pilotprojekt „Pier4“ angeschlossen, um gemeinsam nach Start-ups zu suchen und sich mit diesen zu vernetzen.
Flaggschiffe und Schnellboote
„Am Pier4 werden nicht Container, sondern Ideen, Lösungen und Prototypen für die Industrie von morgen gehandelt“, erklärt Tech2b-Geschäftsführer Markus Manz den Namen des in dieser Form völlig neuartigen Konzepts. Die großen Flaggschiffe der Wirtschaft sollen ebenso anlegen wie passende Schnellboote in Form von Start-ups aus der ganzen Welt. Die Flaggschiffe haben mit der Amag, Elin, Energie AG, Fabasoft AG, Lenzing AG, Miba AG, Primetals Technologies und TGW bereits angedockt. Manz musste dafür nicht lange die Werbetrommel rühren – das Interesse war groß. In naher Zukunft kommt noch ein Unternehmen dazu, weitere Aufnahmen wird es aber nicht mehr geben. Während man bei den Flaggschiffen bewusst auf den Industriestandort Oberösterreich setzt, sollen die Schnellboote aus der ganzen Welt kommen. Diese werden nun nach von den Unternehmen gemeinsam definierten Suchfeldern wie smarte Materialien, künstliche Intelligenz, Digitalisierung oder E-Mobilität und nach individuellen Feldern von Tech2b systematisch gesucht. Es gibt auch eine Kooperation mit dem Exportcenter und der Außenwirtschaft Austria.
Doch warum brauchen Leitbetriebe wie der Zulieferkonzern Miba solch ein Projekt, Start-ups müssten ihnen doch eigentlich die Tür einrennen? Dazu Roland Hintringer, Vice President Technology and Innovation: „Wir würden uns durchaus wünschen, dass mehr Start-ups zu uns kommen. Diese trauen sich zum Teil gar nicht anzuklopfen oder machen dies an der falschen Tür.“ Pier4 sende die Message aus, dass auch etablierte Betriebe an der Zusammenarbeit mit Start-ups interessiert sind. Gemeinsam sei man stärker und könne sich gegenseitig befruchten: „Das sind alles interessante Unternehmen, die auch im Hochtechnologiebereich positioniert sind, sich aber nicht gegenseitig auf die Zehen steigen.“ Spitzenberger und Stein von der Energie AG nennen ebenfalls den Cross-Industrie-Ansatz und den Austausch mit den Innovationsmanagern der anderen Betriebe als einen der spannenden Punkte bei Pier4: „Die Leitbetriebe hätten sich in dieser Konstellation und mit dem Ziel, gemeinsam Dinge zu entwickeln, definitiv nicht getroffen. So können wir auf Themen stoßen, bei denen jemand aus einer anderen Perspektive schon einen ersten Lösungsweg kennt.“
Mittlerweile gebe es Start-up-Scoutings wie Sand am Meer: „Eine Firma ist weit nicht so attraktiv wie dieser Zusammenschluss an Leitbetrieben.“ Die Energie AG hat in der Vergangenheit bereits mit Start-ups zusammengearbeitet. „Tech2b macht für Pier4 wirklich ein systematisches Screening mit gezielten Suchfeldern und einer breiten Abdeckung. Das könnten wir, so wie wir jetzt aufgestellt sind, nicht machen“, sagt Spitzenberger. Hintringer pflichtet ihr bei und bezeichnet Pier4 als „Plattform, wo man als Leitbetrieb mit Start-ups unkompliziert und effizient in Kontakt treten kann“. Bei der Miba ist man generell an Digitalisierung und Industrie 4.0 und im Speziellen an dem sich im Umbruch befindenden Automobilbereich mit den Themen Elektrifizierung, Elektromobilität und autonomes Fahren interessiert. „Wir arbeiten gerne mit jungen, dynamischen Firmen zusammen, die vielleicht ein bisschen unverkrampfter an die Sache rangehen.“ Der Softwarehersteller Fabasoft ist besonders auf der Suche nach Start-ups in den Bereichen IT- und Netzsicherheit – vor allem im Zusammenhang mit Cloud-Services sowie künstlicher Intelligenz. Gründer und Vorstand Helmut Fallmann möchte „neue Zugänge und einen frischen Blick auf anwendungsorientierte IT-Lösungen“ gewinnen.
Ergebnisoffen
Wenn entsprechende Start-ups gefunden wurden, werden diese zur Vorstellung nach Linz eingeladen. Es sind die unterschiedlichsten Formen der Zusammenarbeit von einem Start-up mit mehreren oder auch nur einem Unternehmen denkbar. Herbst Kinsky Rechtsanwälte sind als Rechtsberater und die Raiffeisenlandesbank Oberösterreich ist als Finanzierungspartner mit an Bord und bringt eine Million Euro an Eigenkapital für die Start-ups mit. Dazu Manz: „Damit ist bei Bedarf schnell Geld vorhanden.“ Miba und Energie AG sind für sämtliche Formen der Zusammenarbeit offen. Investments haben beide Firmen nicht im Fokus – können sich aber ergeben. „Wir sind ergebnisoffen – können uns vorher auch gar nicht festlegen, weil wir nicht wissen, was es alles gibt“, so Spitzenberger und Stein. Ebenso gebe es bei beiden Unternehmen keine im Vorfeld bestimmten Budgets. Das würde laut Hintringer auch keinen Sinn machen: „Es geht um viel mehr als um Geld. Es geht darum, gemeinsam kreativ zu sein und etwas zu erreichen, sodass alle davon profitieren.“
Pier4 ist vorerst bis Ende 2018 befristet. Über eine mögliche Fortsetzung will Manz noch nicht sprechen: „Dafür ist es noch viel zu früh.“ Erfolgreich ist das Pilotprojekt für ihn, wenn die Betriebe zufrieden sind und einige Start-ups sich präsentieren können. Draufgabe wäre, wenn mehrere Pilotprojekte gestartet werden würden. Bei der Energie AG ist man zufrieden, wenn man „spannende Kontakte zu neuen Start-ups bekommt“. Pier4 sei aber bereits mit dem Zusammenschluss der acht heterogenen Leitbetriebe ein Erfolg. Nun müsse man die Innovationen wie in der unfertigen Wohnung entwickeln und entstehen lassen.