Smartbow und die Datacowboys

Für den Landwirt mit Herz und Herde ist jede Kuh eine Cashcow. Als solche will sie gehegt und gepflegt werden. Damit sie so gesund und zufrieden ist, wie man sich das auf jedem Hof der Welt wünscht. Und damit sie reichlich Milch gibt und speziell als Mastvieh gut im Futter steht. "Eine Kuh braucht nicht nur die Gesellschaft ihrer Artgenossinnen", sagt Wolfgang Auer, "sondern auch einen regelmäßigen Kontakt zum Menschen, sonst verwildert sie."
Um regelmäßigen Kontakt mit jemandem zu halten, muss man allerdings auch seinen Aufenthaltsort kennen. Insbesondere, wenn wie im Fall einer Kuh Smartphone und Co keine Option sind. Aus diesem Grund hat Auer 2009 im Hausruckviertler Markt Weibern Smartbow gegründet. Mit dem Ziel, ein elektronisches Lokalisierungssystem für Nutztiere zu schaffen.

Geboren mit dem Unternehmergen
Ein Vorhaben, das sich fast zwangsläufig aus dem Lebenslauf des gelernten Wirtschaftsinformatikers ergibt. "Ich wollte schon als Kind Unternehmer werden", erzählt Auer, der sich in ganz jungen Jahren noch als künftigen Agrarökonom sieht: In seinem Geburtsort Peuerbach geht er im Bauernhof der Großeltern aus und ein. Melken und Stall ausmisten, Heu machen, Vieh füttern: Nichts davon ist Auer fremd.
Doch genauso wie für die Landwirtschaft begeistert sich Auer für Computer mit ihren Betriebssystemen und Programmen. 1995 kauft er sich vom ganzen Ersparten seinen ersten Rechner und gibt später die Handelsakademie zugunsten des Bundesheeres auf.: "Vier Jahre war ich bei den Fliegern in Hörsching in der IT-Abteilung." Die Matura holt er an der Abendschule nach, ein Selbsterhalterstipendium ermöglicht das Informatikstudium an der Linzer Kepler Universität. Danach heuert er in einer Softwareschmiede mit Landwirtschaftsschwerpunkt an; zur Jahrtausendwende übernimmt er mit seiner Schwester den großelterlichen Hof.

Was treibt die Herde gerade?
Nur nebenbei, doch die Landwirtschaft verfolgt ihn bis ins Büro: "Es ist ein ungutes Gefühl, wenn du ständig auswärts bist ohne zu wissen, was deine Herde gerade macht." Noch bei seinem alten Arbeitgeber formuliert Auer die Idee für ein Lokalisierungssystem, die auf der Nutztiermesse Eurotier prämiiert wird und auf riesigen Widerhall stößt. Für Auer der Anlass, sich selbstständig zu machen.
Wie die Lösung ausschauen soll, weiß er schon: Eine Ohrmarke mit Sensor soll es werden.
Auer, mittlerweile seiner Familie halber nach Weibern gezogen, gründet Smartbow. Dass Weibern weniger ländlich ist als sich meinen ließe, kommt ihm zu Gute: Dort hat der traditionsreiche Kunststoffverarbeiter MKW seinen Sitz. Der Chef ist Auers Schwiegervater – und einer der ersten fünf Gesellschafter, denen der angehende Unternehmer seine Businessidee präsentiert.

Drei Monate für 82 Seiten
Ein Businessplan wird daraus, als Auer sein Vorhaben bei der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG präsentiert. Einer der Zuhörer ist Georg Schmidinger von tech2b, der Auer seine Hilfe bei der Antragstellung anbietet: "Drei Monate Arbeit haben wir in die 82 Seiten gesteckt", erinnert sich Auer, "dafür war das Papier dann aber auch jahrelang unsere Bibel."

Bild: tech2b / Andreas Balon

Die Mühe lohnt sich: Der Antrag wird bewilligt und Auer macht sich mit den ersten zwei Softwareentwicklern an die Arbeit. Zunächst hat Auers Smartbow Schweine im Blick und bald einen Prototyp fertig. Die ersten Feldversuche fallen ernüchternd aus: "Innerhalb von zehn Tagen haben die Viecher alles komplett zerstört." Dann kommen Schweinemastbetriebe preislich derart unter Druck, dass jede zusätzliche Investition undenkbar wird.
Smartbow sattelt auf Rinder um – und macht dank des Beschleunigungssensors in den Marken eine Entdeckung, die alles verändert: "Wir sind draufgekommen, dass wir die Bewegungen der Tiere interpretieren können", sagt Auer. Und das mit enormem Mehrwert für die Tierhalter.

Bewegungsmelder mit Mehrwertdienst
Eine Kuh, die weniger frisst, sich weniger bewegt und öfter liegt, wird offenkundig krank. Genauso treffsicher lässt sich aus den Bewegungsmustern schließen, wann eine Kuh brünstig wird und sich ergo ein Besamungsversuch lohnt. "Dass eine Kuh Lungenentzündung bekommt, weiß der Landwirt durch Smartbow heute schon fünf Tage, bevor sie überhaupt ausbricht", erklärt Auer, "da gewinnt man extrem viel veterinärmedizinischen Handlungsspielraum und kann noch ohne Antibiotika eingreifen. Und genau darum geht es uns!" Ein unschätzbarer Vorteil ist das vor allem in Großbetrieben mit mehreren hundert oder gar tausend Tieren, die sich nicht ständig einzeln beobachten lassen. Bei entsprechenden Vorzeichen bekommt der Landwirt in Echtzeit eine Warnung auf seinen Rechner.
Der Softwareschlüssel zum Erfolg sind allerdings keine Algorithmen, sondern Künstliche Intelligenz: Smartbow ist ein permanent lernendes System, das immer feiner und leistungsfähiger wird, je länger und an je mehr Orten es läuft. Trotz aller offensichtlichen Vorteile dauert es bis 2013, dass Smartbow den ersten Kunden begrüßen darf. "Landwirte sind eine ganz schwierige Kundschaft, die sich nur ganz schwer auf etwas Neues einlässt", seufzt Auer. "Angenommen wird nur, was ganz einfach anzuwenden ist und funktioniert. Sonst wird man vom Markt wieder ausgespuckt."

Made in Weibern
Doch seither geht es in riesigen Schritten voran: Anfang Oktober nimmt der 48. Datencowboy am Schreibtisch Platz in Weibern, wo nicht nur programmiert, sondern in Zusammenarbeit mit der MKW auch assembliert wird. Bis auf die in Deutschland zugekauften Platinen stammt von der Software bis zum Plastikgehäuse alles aus Österreich.
Smartbow-Kunden gibt es inzwischen jedoch von Russland über die USA bis Australien. Wenn das Geschäftsjahr 2017 zu Ende geht, werden allein in diesem Jahr 70.000 Kühe einen praktischen Ohrschmuck Made in Weibern verpasst bekommen haben. Im Frühjahr 2018 kommt die nächste Gerätegeneration auf den Markt. Aus 100% recyclebaren Teilen und mit einer Batterie, die ein ganzes Kuhleben lang läuft.
Um die Smartbow-Zukunft muss sich Auer wohl keine großen Sorgen mehr machen. Von den weltweit rund 1,4 Milliarden Rindern tragen erst bescheidene 3,5 Millionen einen Sensor, und "die Kombination von Ohrmarke mit Lokalisierung plus Bewegungssensor plus Künstlicher Intelligenz gibt es auf der ganzen Welt nur einmal", wie Auer sagt, "nämlich von uns."

Bild: tech2b / Andreas Balon

<< zurück