Knochenarbeit

Wer sehen will, wo die Knochenverbinder des 21. Jahrhunderts gemacht werden, muss aus Linz kommend am Lagerhaus und der Genol-Tankstelle vorbei, dann halblinks der Vorrangstraße folgen und das Restaurant Holzpoldl sowie die gleichnamige Bäckerei rechts liegen lassen und kurz vor dem Ortsende von Lichtenberg rechts ins kleine Gewerbegebiet der Mühlviertler Gemeinde abbiegen. Die "brighter ways for surgery", wie der surgebright-Claim lautet, beginnen in der Gewerbezeile Nummer Sieben. Ein kubisches Musterbeispiel für einen unauffällig schlichten Zweckbau, in dem sich die surgebright-Büros befinden. Und das Allerheiligste: Der klinisch saubere Reinraum der Gewebebank – als solche firmiert surgebright laut Gesetz –, in dem aus Spenderknochen die Pastl'sche Shark-Screw®-Schraube gefräst wird. In vier unterschiedlichen Stärken in einheitlicher Länge von 3,5 Zentimeter.

Heavy Metal, heavy trouble
Als organisches Transplantat dient sie bei orthopädischen Operationen dazu, Knochenstücke nach Brüchen oder Fehlstellungen wieder dauerhaft miteinander zu verbinden. "Was über steht, wird einfach abgefräst", erklärt surgebright-Geschäftsführer Lukas Pastl. Bei einer herkömmlichen Metallschraube geht das nicht. Hervorstehende Schraubenteile sind denn auch einer der Ursachen für Komplikationen nach Operationen, mit denen sich Klaus Pastl seit Jahrzehnten als orthopädischer Chirurg auseinandersetzen muss. Nach über 12.000 eigenhändig vorgenommenen OPs als Oberarzt am Linzer AKH bzw. mittlerweile im Diakonissenkrankenhaus ist Pastl längst kein Problem mehr fremd. Viele Patienten reagieren geradezu allergisch auf die Metallbewehrungen ihres Knochenapparates. Mit heftigen Abwehrreaktionen des Körpers, der den anorganischen Eindringling abzustoßen versucht; mit Entzündungen und chronischen Schmerzen. Die können so schlimm werden, dass sich viele Implantatträger die Metallschrauben auf eigenen Wunsch wieder entfernen lassen.

Pionierchirurgie am Linzer AKH
Pastl sucht nach Alternativen und findet sie in Gestalt von Knochenschrauben, die er vor jeder Operation selbst herstellt. Mit größtem Erfolg: Der Körper identifiziert das knöcherne Transplantat als körpereigenes Material, integriert es in sein System und überformt es im Lauf der Zeit. Deshalb erübrigt sich eine zweite OP, denn die Schraube braucht nicht entfernt zu werden – ein Segen vor allem in der Kinderchirurgie, in der Implantate bisher wachstumsbedingt von Haus aus entfernt werden mussten. Gesundheitsökonomisch ergibt es eine Riesenersparnis. "Die zweite OP ist für Krankenhäuser ohnehin oft ein Verlustgeschäft", weiß Lukas Pastl.
So ist am AKH alles eitel Wonne.  Bis die gesetzlichen Regulatorien für die Sterilisation verschärft werden und das Krankenhaus die neuen Knochenschrauben wieder aus dem OP-Programm nehmen muss.

Sterilisation ist auch heute noch das große Thema – und das Einzige, was surgebright nicht selbst macht. "Eine eigene Sterilisation aufzubauen, ist mit immensen Kosten und hohem bürokratischem Aufwand verbunden", erklärt Lukas Pastl. Ergo lässt surgebright bei der Partnergewebebank DIZG in Deutschland sterilisieren, mit der sie einen regen Austausch trockeneisgekühlter Styroporboxen mit dem kostbaren Material unterhält. "Nach der Sterilisation sind unsere Shark-Screw®- Schrauben in steriler Verpackung fünf Jahre lang bei Zimmertemperatur haltbar", sagt der surgebright-Geschäftsführer.

Neustart nach einer Autofahrt
Das ist weniger Zeit, als bis zu Klaus Pastls zweitem Anlauf vergehen: Auf einer gemeinsamen Autofahrt redet ihm der CEO des führenden österreichischen Implantatherstellers zu, die Idee unbedingt wieder aufzugreifen. Der Chirurg lässt sich überzeugen und entwickelt von 2006 bis 2008 mit Kollegen der Technischen Universität Graz die humanoide Patentschraube, die erfolgreich international patentiert wird und den Namen Shark-Screw® bekommt. Die anschließende Suche nach Produktionspartnern verläuft allerdings im Sand, mehrere vielversprechende Kooperationen zerschlagen sich wieder. Dass der Shark-Screw® 2014 der österreichische Erfinderpreis Inventum zuteil wird, ändert nichts daran. Wieder sind es die Söhne die nicht locker lassen und ihren Vater motivieren, der neuen Ära der Knochenchirurgie den Weg zu bereiten. Im Jänner 2016 gründet Pastl mit seinen Söhnen schließlich surgebright. Lukas führt mit ihm die Geschäfte, Thomas betreut Marketing und Vertrieb.
Bei der Gründung kann die Familie auf die Unterstützung von tech2b zurückgreifen: "Mit tech2b haben wir den Stein ins Rollen gebracht", blickt Lukas Pastl zurück, "denn wenn du dort ins Programm kommst, hast du bei anderen Fördergebern gleich ein anderes Standing. Und was ich wirklich sagen muss: Der österreichischen Förderlandschaft gebührt großes Lob, es gibt wirklich viel Unterstützung für innovative Ideen."

Frühe Selbstständigkeit
Unternehmergeist ist weder Lukas Pastl noch seinem Bruder Thomas fremd: Als Wirtschaftsstudenten in Wien gründen sie kurzerhand eine Eventmanagementfirma und wagen sich an die Organisation von Soireen im 19. Stock eines Business Towers in Wien-Nord. "Diese frühe Selbstständigkeit war für uns eine wichtige Erfahrung, von der wir heute noch profitieren. Man lernt was notwendig ist, um andere Leute von einer Idee zu begeistern, Dinge anzupacken und wie wichtig die richtigen Kontakte sind", erinnert sich Lukas Pastl an die vergangene Eventreihe.
Was die Zukunft von surgebright betrifft, ist man in Lichtenberg optimistisch: Seit die Shark-Screw® im April 2016 für das österreichische Gesundheitswesen zugelassen worden ist, haben schon 14 heimische Kliniken auf die Lichtenberger Knochenarbeit umgestellt. Die Zulassung für die Schweiz ist schon da, die für Deutschland nur noch Formsache. "Auch wenn wir uns wie alle Startups erwartet haben, dass es viel schneller geht, gehört die Zukunft der Shark-Screw®", ist Lukas Pastl überzeugt. "Sie bietet den  Patienten die beste Versorgung und reduziert gleichzeitig Kosten im Gesundheitssystem."

Bild: tech2b / Andreas Balon

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