cortEXplore: Reine Kopfsache

cortEXplore-Gründer Stefan Schaffelhofer hat ein Navigationssystem für das menschliche Gehirn entwickelt, das Operationen daran einfacher und sicherer macht.

Linz: Kein Thema. Göttingen: Auch noch kein Problem. Aber als es dann in die USA gehen soll, sagen sich Stefan Schaffelhofer und seine Frau: "Alles, nur nicht New York." Doch ausgerechnet von der Rockefeller University ebendort kommt ein Angebot, das der junge Wissenschaftler mit leiser Aversion gegen große Städte nicht ausschlagen kann.
2015 packt Schaffelhofer seine Siebensachen und zieht in den Big Apple, um drei Jahre lang an einer der besten Bildungs- und Forschungsstätten der Welt seiner Leidenschaft zu frönen: Der Erforschung des menschlichen Gehirns. "Die Rockefeller University kennt man außerhalb der Wissenschaftswelt nicht so richtig ", sagt der gebürtige Mühlviertler, "aber keine Uni hat im Verhältnis zu ihrer Größe so viele Nobelpreisträger hervorgebracht."

Unter Nobelpreisträgern
Mit Nobelpreisträgern hat Schaffelhofer bereits als Jungwissenschaftler beim Lindauer Nobelpreisträgertreffen Zeit verbringen können. Wie sie hat auch er hoch gesteckte Ziele. Einige hat er bereits erreicht: Schaffelhofers Verdienst besteht im Wesentlichen darin, sowohl oberflächliche als auch tief unter der Oberfläche liegende Gehirnareale für elektronische Messungen zugänglich gemacht zu haben, um Teilfunktionen des Gehirns zu entschlüsseln. Das hat ihm unter anderem den Förderpreis des Deutschen Primatenzentrums und das Feodor Lynen Fellowship eingetragen.
Die ersten technischen Grundlagen dafür eignet sich Schaffelhofer bereits als Schüler an einer HTL für Elektrotechnik an. Technisch wie medizinisch interessiert entschließt er sich, Medizintechnik an der Fachhochschule Linz zu studieren. Als es dort im sechsten Semester um Gehirnstrommessungen geht, hat er sein Erweckungserlebnis: "Der technische Brückenschlag zwischen dem Biologischen und dem Elektronischen hat mich so fasziniert, dass ich gleich gewusst habe: Das ist Meines."


Bild: tech2b / Andreas Balon

Der Biss in den großen Apfel
Seine Masterarbeit macht in der Neuroszene Eindruck, dass er dem Angebot der Universität Göttingen nachgibt und nach Deutschland zieht. Im Zuge seiner Doktorarbeit geht er im Hinblick etwa auf die Steuerung von Prothesen der Frage nach, wie das Gehirn visuelle Eindrücke in Greifbewegungen umwandelt und wie sich die Aktivität mehrerer hundert Gehirnzellen gleichzeitig auslesen lässt. "Ich habe in einem leeren Raum begonnen und in tausenden Arbeitsstunden das experimentelle Setup dafür entwickelt und aufgebaut", erzählt Schaffelhofer.
Mit seiner Dissertation ergeht es ihm wie schon mit der Masterarbeit: Er erhält Angebote von mehreren US-Universitäten und entscheidet sich für die Rockefeller University. Eine Karriere wie aus dem Bilderbuch, und doch ist Schaffelhofer alles andere als ein Karrierist. Wer mit ihm spricht, bekommt es mit einem bescheidenen, ruhigen und freundlichen Menschen zu tun.

Liveübertragung aus dem Gehirn
Zu Schaffelhofers Gaben gehört die unter angloamerikanisch sozialisierten Wissenschaftlern besonders ausgeprägte Fähigkeit, seine hochkomplexe Arbeit für Laien gleichermaßen verständlich wie spannend in einfache Bilder und Worte zu übersetzen. Das kommt ihm nach der Rückkehr aus New York 2018 daheim in Österreich besonders zu Gute. Denn Schaffelhofer hat nicht nur eine hochinnovative neurowissenschaftliche Entwicklung im Umzugsgepäck. Sondern auch die Absicht, ein Unternehmen zu gründen. Es bekommt den aussagekräftigen Namen cortEXplore, der den anatomischen Begriff für die Hirnrinde – Cortex – mit forscherischem Streben verbindet.
Ihr Hauptprodukt: Ein Navigationssystem für operative Eingriffe am Gehirn. Mit Hilfe von Kameras, Sensoren, der Verbindung verschiedener bildgebender Verfahren, Software und Rechenleistung Ende nie "kann man dem Chirurgen in Echtzeit und im Submillimeterbereich zeigen, wo er mit seinen Instrumenten gerade ist." Das maximiert die operative Arbeitssicherheit und minimiert das Risiko für den Patienten.

Bild: tech2b / Andreas Balon

Analytisch Geld verdienen
Mehrere Universitäten und Neuroforschungszentren in den USA und Kanada verwenden bereits den Prototypen des cortEXplore-Systems. Zusätzliches Geld verdient das Start-up, das gegenwärtig in einem Büros in der Neuen Werft sitzt, mit neurowissenschaftlichen Analysen für Mediziner und Sportler.
Schaffelhofers Partner im Unternehmen sind der Softwarespezialist Robert Prückl und das "Hardwaregenie" Bernhard Großwindhager, die laut Schaffelhofer die Entwicklung des Produktes erst möglich machen. Der Linzer Radiologe Josef Kramer unterstützt die Gründer dabei als väterlicher Wegbegleiter. Er ist nicht nur eine Koryphäe seines Faches, sondern hat auch selbst ein großes und erfolgreiches Unternehmen aufgebaut. "Von ihm lernen wir nicht nur technisch, sondern auch wirtschaftlich immens", freut sich Schaffelhofer. Fachliche Unterstützung bekommt das Team von Microsoft-Entwicklern in Seattle.

Oberösterreichische US-Mentalität
Dass eine Kapazität wie Schaffelhofer in Österreich gründet, ist ein Glücksfall. "Meine Frau und ich wollten wegen unserer Familien zurück", sagt Schaffelhofer, "die Firma hätten wir überall auf der Welt gründen können."
In der alten Heimat fällt das anfangs schwerer als gedacht. "Wo immer ich mich nach Förderungen erkundigt habe, hat es geheißen: Das passt nicht ins Programm", erinnert sich Schaffelhofer. "Erst bei Business Upper Austria und tech2b war ich dann endlich richtig. Ohne die beiden würde es uns heute vielleicht nicht geben."
Auf den ersten Frust folgt Gestaltungslust: "Mit Hilfe von tech2b und Business Upper Austria haben wir dann jede erdenkliche Förderung und Unterstützung bekommen, bis hin zum Oberösterreichischen Leitprojekt. In Oberösterreich sind uns alle so begegnet, wie man es eigentlich in den USA erwarten würde: positiv, offen für Neues, interessiert und engagiert."

Mit dem Auftragsbuch nach Chicago
In Zusammenarbeit mit dem Neuromed-Campus des Kepler Universitätsklinikums und dem RISC-Institut der JKU arbeitet cortEXplore gerade daran, die medizinische Zulassung für ihr System zu bekommen: "So weit kommt ein Start-up nur sehr schwer", weiß Schaffelhofer um den Ausnahmestatus seiner Gründung, die sich 2018 den Gründerpreis EDISON in Gold in der Kategorie beste Technologie abgeholt hat. Gut bestellt ist es um cortEXplore auch wirtschaftlich schon, wie Schaffelhofer sagt: "Rechnet man die Förderungen dazu, werden wir wahrscheinlich bereits heuer schwarze Zahlen schreiben."
Ein Ziel steht im angelaufenen Jahr über allem anderen: Die Präsentation des cortEXplore-Systems beim Treffen der Society for Neuroscience in Chicago, bei dem sich an die 30.000 Neurowissenschaftler aus aller Welt versammeln. Ein Auftragsbuch wird Schaffelhofer dorthin auf jeden Fall mitnehmen. Für alle Fälle.

Mehr zum Start-up cortEXplore gibt's hier!

Fotos: tech2b/Andreas Balon

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