Bergardi: Der Bewegungskünstler im Alltag

Mit dem Bergardi schwingt das gleichnamige Start-up um den ingeniösen Tüftler Walter Schindlegger mit einen Aktivsessel auf den Büromöbelmarkt, in dem man im Sitzen Trainingsmeter mit dem Becken machen kann – wer möchte nicht seine 10.000 Schritte am Tag wie ein Bewegungskünstler absolvieren?

Walter Schindlegger hat es schon oft gesehen: Wie sich angehende Testsitzer vorsichtig auf die ergonomische Sitzfläche seines Bergardi niederlassen und dann, noch unbeholfen, im Becken zu drehen beginnen. Zuerst mit kleinen Bewegungen, dann immer energischer und weiter, bis die Bewegung auch die Gesichtszüge erfasst – und jenes freudig-erstaunte Lächeln um die Mundwinkel schafft, das sich immer dann einstellt, wenn man etwas Neues entdeckt und gelernt hat. Dann muss der gelernte Schlosser aus dem niederösterreichischen Mostviertel unwillkürlich mitschmunzeln.
Mit etwas Übung lässt sich im Bergardi an einem Arbeitstag so viel Gehbewegung zurücklegen, wie für einen Kilometer Strecke notwendig ist.

Bild: tech2b / Andreas Balon

Die Hüften schwingen wie Elvis
Ziel und Anspruch des aktiv-dynamischen Möbelstücks ist die Kräftigung der Rumpfmuskulatur mit einer semi-intensiven Ausgleichsbewegung der Bandscheiben. Insbesondere im Bereich der Lendenwirbel 4 bis 6, in dem zahlreiche Vielsitzer chronisch schmerzgeplagt sind, kann so ein wirkungsvolles Training ermöglicht werden. Die Bewegung im Sitzen regt zudem die Durchblutung an, was auch der Leistungsfähigkeit und der geistigen Frische zugutekommt. Ein Faktum, mit dem alle Aktivsesselhersteller für ihre Sitzbälle, Hocker und Flexistühle werben.
Diese Sitzgelegenheiten eint aber ein entscheidendes Manko: Das Sitzen darauf ist ein permanenter Kampf gegen den Gleichgewichtsverlust. Das bringt Bewegung in den oft starren Berufsalltag, aber nur eine minimale – weshalb der Effekt in der Regel schnell verpufft.
Der Bergardi ist mit seiner revolutionären und patentierten Sitzmechanik für den Langstreckenbetrieb gemacht. Im Bergardi sitzt man nach dem Gimbal-Prinzip förmlich wie in einer Schale. Jede Bewegung des Beckens wird mit drei Schwingachsen ausgeglichen.
Die Erfindung und damit das Lebenswerk von Walter Schindlegger ist konventionellem Aktivmobiliar auch in einem anderen Punkt überlegen: Selbst bei heftiger Hüftrotation à la Elvis Presley bleibt die Wirbelsäule mit dem darauf sitzenden Kopf stets im Lot – was die grundlegende Voraussetzung für Bildschirmarbeit ist. "Wer dauernd hin- und herkippt, kann nicht am Computer schreiben, Artikel über den Kassenscanner ziehen oder sonst etwas tun, wofür der Kopf zentriert sein muss", erklärt Riegler.

Der Onkel und die Neffengeneration
Riegler, im Sommer abgeschlossener Bachelor of Arts in Business und Barkeeper, ist im dreiköpfigen Start-up Bergardi nominell für Marketing und Kommunikation zuständig. Um die Geschäftsführung kümmert sich sein Kollege Markus Franz-Riegler, der eine Mechatronik-HTL absolviert hat und derzeit Wirtschaftsinformatik an der Kepler Universität studiert. Anders als die Nachnamen und die gemeinsame Herkunft ebenfalls aus dem Mostviertel vermuten ließen, sind Riegler und Franz-Riegler nicht miteinander verwandt. Riegler mischte bereits beim Aufbau eines Erfrischungsgetränkes mit und vernetzte sich dabei auf Umwegen mit Franz-Riegler und Schindlegger. Ein Verwandtschaftsverhältnis besteht jedoch zwischen Walter Schindlegger und Franz-Riegler, die einander Onkel und Neffe sind.
Walter Schindlegger mag weder große Worte noch die Hard- und Software der digitalen Welt. Das CAD-Konstruieren und Designen am Computer überlässt der Niederösterreicher, der bereits 20 Patente angemeldet hat, lieber anderen. Wie dem Produktdesigner und Ingenieur Michael Jaritz von der Grazer FH Joanneum, mit dem der gelernte Schlosser bereits mehrfach zusammengearbeitet hat. "Ich mache alles ohne Computer direkt am Schraubstock", sagt Schindlegger trocken, "und das Ergebnis passt auch."

5 Jahre, 33 Prototypen
Nicht weniger als 33 verschiedene Modelle an Prototypen hat er allein in den vergangenen fünf Jahren daheim in seiner Garage entwickelt und gebaut. Den letzten hat er in der Grand Garage in der Linzer Tabakfabrik an der dort verfügbaren CNC-Fräse vollendet. Alles in allem stecken in jedem Bergardi rund 20 Jahre Entwicklungszeit und Erfahrung, die Schindlegger jahrelang als Konstrukteur von Autositzen bei einem Nürnberger Automotiv-Betrieb gemacht hat. Schon damals schlug er sich mit optimalen Sitzlösungen für verkrümmte Wirbelsäulen herum. Als sein Schwager einen Bandscheibenvorfall erlitt, nahm Schindlegger das erschütternde Ereignis zum Anlass, in Zusammenarbeit mit einem Arzt ein Wirbelsäulentherapiegerät namens X-ten in Form eines Loungesessels zu konstruieren. Wegen Übergewicht und Unhandlichkeit ging es genauso wenig in Serienfertigung wie ein anschließend entwickeltes leichtes Extensionsgerät und der "Grüne Stuhl", der den Bergardi bereits erahnen ließ.
Zwischen dem und dem serienreifen Bergardi von heute liegen weitere 24 Prototypen, anhand derer Schindlegger die Sitzmechanik optimierte und perfektionierte. Nun ist der Produktionsstart zum Greifen nahe, und das junge Unternehmen nimmt für sein gleichnamiges Podukt bereits Vorbestellungen entgegen.

Bild: tech2b / Andreas Balon

Vielversprechende Testphase
Order gibt es bereits, und zwar von den Beta-Testerinnen und -Testern, die den Bergardi gerade wochenweise im wahrsten Sinne des Wortes besitzen. Mit ermutigendem Feedback. "Uns haben Supermarktkassiererinnen gesagt, dass sie nach nur einem Arbeitstag auf dem Bergardi zum ersten Mal seit Jahren rückenschmerzfrei heimgegangen sind", freut sich Riegler. Um die 80% können sich vorstellen, den ganzen Tag lang darin zu sitzen, erzählt CEO Franz-Riegler. Auch von begeisterten Physiotherapeuten, die sich auf die Bergardi-Markteinführung freuen, weiß er zu berichten.
Bis zum Produktionsstart hat das Bergardi-Team allerdings noch eine gewichtige Entscheidung zu treffen: Wo und von wem das gute Stück letztlich gebaut werden soll.

Heiß begehrte Anteile
Geben wird es den erstaunlichen Bürodrehsessel via Bergardi-Onlineshop. "Wir möchten ihn aber auch bei ausgesuchten Möbelhändlern platzieren", kündigt Marketingmann Thomas Riegler an. Im Endspurt zur Serienproduktion sucht Bergardi noch nach Investoren, um das nötige Kapital für die Produktion einzusammeln. Über ein vielversprechendes Produkt hinaus hat Bergardi auch eine Entwicklungsperspektive zu bieten: Dem Bürodrehstuhl sollen weitere Modelle folgen, die dank Sensorik auch smart sein werden – aber das ist noch Musik der Zukunft.
An potenziellen Kooperationspartnern besteht jedenfalls kein Mangel, erklärt Franz-Riegler: "Wir haben die Qual der Wahl und finden es schwierig, uns auf nur einen oder zwei Partner zu beschränken."

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Fotos: tech2b / Andreas Balon

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